Sich selbst aushalten - oder andere zu mehr Rücksicht erziehen?

Mondenfrau
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Sich selbst aushalten - oder andere zu mehr Rücksicht erziehen?

Beitrag von Mondenfrau »

Hallo alle,

ich habe mich sehr lange und intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Als Leiterin eines Künstlernetzwerks umweltkranker Künstler hatte ich seinerzeit mit 55 MCS-kranken Amerikanern zu tun, von denen ich vieles gelernt habe. Zum Beispiel, dass Amerikaner sich ihre Rechte erstreiten, statt zu jammern. Es gibt bereits Orte, wo MCS'er zu bestimmten Zeiten einen freien Zugang zu allen öffentlichen Gebäuden haben - und zwar duftstofffrei. Sie sitzen im Gemeinderat oder engagieren sich politisch sehr viel stärker als wir. Das hat mich stark beeindruckt. In Amerika zählen die Rechte einzelner allerdings sehr viel mehr als bei uns. Schon alleine, weil die Leute klagen können, und oft genug Recht bekommen. Man mag die amerikanische Klagewut finden, wie man will - aber es ist hilfreich für die Betroffenen.

Zu dieser Zeit hatte ich ein sehr reges, aber rein virtuelles Leben. Ich war damals sehr krank und es ging nicht anders. Aber das echte Leben mit realen Menschen, mit denen ich mal eine Tasse Tee in der Küche genießen kann, oder mit denen ich in einem Restaurant mit Außenplätzen essen gehen kann, fehlte mir nach sieben Jahren dann doch. Ich habe dann begonnen, einige Outdoor-Beziehungen zu pflegen. Eine kleine Walkinggruppe mit netten Nachbarinnen und ein Hund haben mir soziale Kontakte verschafft. Diese sind nur oberflächlich, aber sie machen dennoch einen Unterschied. Von meiner Erkrankung wissen die meisten, aber sie interessiert sie null. Rücksichten müssen sie nicht groß nehmen, da wir uns nur zu Hundespaziergängen verabreden.

Das Thema Einsamkeit spielt auch in meinem Roman eine Rolle. Auch dort wird die Frage danach gestellt, weil sie uns alle betrifft. Vieles, was ich von den Amerikanern erfahren habe, fließt in die Story mit ein. Die MCS-betroffenen Amerikanerinnen nutzen zum Teil Dating-Portale, aber sie riskieren auch eine Menge Probleme damit. Lover nehmen keine Rücksichten. Sie sind zudem Fremde. Nur um Sex zu haben, halte ich das für eine sehr riskante Lösung. Als ich noch MCS-Aktivistin war, hatte meine Freundin Lydia Gall, seinerzeit Leiterin einer MCS-SHG, die Idee, eine SHG-interne Dating-Plattform für MCS-Betroffene zu schaffen. Daraus wurde dann nichts. Aber das Thema wird immer eines bleiben, wenn wir nicht versuchen, gesünder zu werden, und wenigstens den Versuch unternehmen, aus unserem Ghetto herauszukommen.

Ich habe die Gespräche und abendlichen Gänge mit meiner Walking-Gruppe ein halbes Jahr lang sehr genossen. dann aber habe ich erleben müssen, dass ich von einer meiner vermeintlichen Freundinnen ausgebootet wurde. Ich hatte sieben Jahre lang eine lockere Beziehung zu ihr, und habe ihre Wohnung gehütet, wenn sie alle paar Wochen verreiste. Es war eine neue nette Frau ins Haus gezogen, auf die sie keine Rücksichten nehmen musste. Das war's. Sie brach die Beziehung zu mir ab. Die von mir initiierte Gruppe legte auf ihre Initiative hin hinter meinem Rücken den Termin um - und ich war raus. Es gab jetzt eine weniger "anstrengende" Alternative zu mir. Die drei Damen gehen nun ohne mich. Aber ich werde mich auch nach diesem Erlebnis niemals vom echten Leben so weit zurückziehen, dass ich es nur noch von Ferne betrachte.

Man muss allerdings lernen, sich selbst auszuhalten. Ich zum Beispiel muss wegen meiner Immunschwäche den Zeitraum zwischen Oktober und April in weitgehender Isolation in meinem Stadtteil verbringen. Busfahrten nur, wenn sie wirklich notwendig sind - und mit Maske. Als Freiberuflerin kann man sich eben nicht leisten, eine Grippe oder einen Infekt einzufangen. Dafür genieße ich im Sommer die vielen Strände in Kiel und lasse meine Atemwege durchpusten. Das kalte Ostseewasser peppt mein Immunsystem auf. Viele Spaziergänge in der Natur stärken meine Pudding-Muskeln. Zum Glück habe ich eine Lebensgefährtin, die mit mir zusammen duftfrei lebt. Sie schleppt allerdings oft was von der Arbeit mit ein. Ein perfektes Leben geht eben nicht... Einsam bin ich auch heute noch, aber ich kann besser damit umgehen. Als Autorin kannst Du Dir Freunde erfinden :bgrins:

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Isidora Paddepüh
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Re: Sich selbst aushalten - oder andere zu mehr Rücksicht erziehen?

Beitrag von Isidora Paddepüh »

Ich habe auch gelernt, mit mir alleine klarzukommen. Meistens geht das recht gut.

Aber leider nicht immer.

Rücksicht nehmen nur wenige und noch viel weniger schaffen es, wirklich duftfrei zu sein. Auch ich habe Hunde, einen eigenen, einen Pflegehund und einen Tageshund. Ohne die Hunde würde ich kaum vor die Tür gehen.

Aber mit ihnen - wenn ich die Hundeohren fröhlich im Wind flattern sehe - ist es wunderschön draußen. Auch sind die Gespräche mit anderen Hundebesitzern recht unkompliziert. Man kann sich unauffällig gegen die Windrichtung stellen, und wenn der andere zu sehr duftet, kann man ganz einfach sagen: "Du, ich muss jetzt weiter". Dann ist auch niemand beleidigt.

Ich habe sehr viele Online-Kontakte - auch Menschen, die für mich Freunde sind, obwohl ich sie niemals persönlich kennengelernt habe. Trotzdem fehlt manchmal eine Umarmung, ein Händedruck, ein persönlicher Kontakt. Aber auch da helfen die Hunde. Mein Micky wiegt 5 kg. Er ist so eine Art Baby-Ersatz und kommt gern mal auf den Schoß zum Kuscheln. Meine Maika wiegt 26-30 kg (je nach Hormonstand). Sie hat eine Größe die (neben mir auf dem Sofa) an einen Menschen erinnert. Auch mit ihr kann man manchmal schön kuscheln, und wenn sie neben mir atmet, vor meinem Bauch oder hinter meinem Rücken liegt und wir uns gegenseitig wärmen, das ist schon wirklich gut für die Seele.
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Re: Sich selbst aushalten - oder andere zu mehr Rücksicht erziehen?

Beitrag von Mondenfrau »

Danke, dass Du so ehrliche Einblicke in dein "Hundeleben" gibst. Es ist nicht das schlechteste, einen Hund zu haben. Und danke für die Fotos. Habe mich sehr gefreut!

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